19. Oktober 2015

Lizenz zum Töten und EU-Milliarden für Diktatoren

Bekritzeltes Stopp-Schild in Casablanca, Marokko
Der Einsatz von Gummigeschossen sei „legitim“ und die Beamten dazu „gezwungen“ gewesen. Damit hat das zuständige Gericht in der spanischen Exklave Ceuta vergangenen Samstag die Klage gegen 16 Beamten der paramilitärischen Guardia Civil abgelehnt.

Am 6. Februar 2014 starben mindestens 15 Menschen im Meer vor Ceuta, als hunderte Personen versuchten, schwimmend die Exklave zu erreichen, und von Grenzbeamten mit Gummigeschossen und Tränengas attackiert wurden. Rund 25 Personen werden seither vermisst. Überlebende des Massakers haben mit Hilfe von Anwälten ein Verfahren gegen die schießenden Grenzbeamten angestrengt. Dieses wurde nun, anderthalb Jahre später, vom zuständigen Gericht abgelehnt.
Es gäbe „keinen Beweis für die Annahme, dass die Beamten unangemessen von Riotmaterial gebrauch machten“. Dieses Urteil zeigt, dass Tote an den EU-Außengrenzen bewusst in Kauf genommen werden. Flüchtlinge beim Überqueren der Grenze zu töten bleibt straffrei und der Einsatz entsprechender Gewalt wird als „legitim“, ja gar „notwendig“ bezeichnet.

Am selben Tag stellte die Europäische Union der türkischen Regierung mehrere Milliarden Euro in Aussicht, wenn die Türkei im Gegenzug die Grenze zu Europa dicht halte und Flüchtlinge wieder zurück nehme, welche über die Türkei nach Europa gelangten. Bisher war Marokko der größte Empfänger von EU-Entwicklungshilfe mit demselben Auftrag. Die Folge davon sind massive Menschenrechtsverletzungen, brutale Razzien in Flüchtlingscamps und Aussetzungen von Männern, Frauen und Kindern in die Wüste. Dieses System, welches in Marokko Schule machte, soll nun auch auf die Türkei angewendet werden – und diesmal nicht einmal im Versteckten, sondern ganz offiziell: EU Nachbarn werden bezahlt dafür, flüchtende Menschen von unserer Grenze fernzuhalten.

Das erschreckende und empörende daran ist aber vor allem die Tatsache, dass dadurch nichtdemokratische Regierungen subventioniert werden, um Flüchtlinge zu blockieren, obwohl diese Regierungen maßgeblich dazu beitragen, dass Menschen überhaupt ihre Heimat verlassen müssen. So führt die türkische Regierung gerade Krieg gegen die kurdische Minderheit im eigenen Land. Und der Verdacht ist nicht mehr abzuweisen, dass sie mitverantwortlich ist für den Terroranschlag auf eine Friedensdemonstration am 10. Oktober in Ankara, bei dem 102 Menschen ums Leben kamen und rund 500 Personen verletzt wurden: Während die Polizei vor dem Anschlag ungewöhnlicher Weise keinerlei Präsenz zeigte, ging sie direkt anschließend mit Wasserwerfern, Tränengas und Knüppeln auf die Toten, Verletzten und Helfenden los. Auch zum Krieg in Syrien hat die Politik des türkischen Präsidenten Erdogan maßgeblich beigetragen. Um eigene geostrategische Interessen durchzusetzen, unterstützte dieser seit 2011 aktiv islamistische Milizen mit Waffen, Geld und Ausbildungslagern auf türkischem Boden, was schließlich in der Gründung des islamischen Staates gipfelte und Millionen von Menschen zur Flucht zwang. Um diese Menschen nun daran zu hindern, auf der Suche nach ein wenig Sicherheit die Grenze nach Europa zu überqueren, soll die Regierung Erdogan mit EU-Milliarden unterstützt werden.

Wenn es darum geht, flüchtende Menschen von den Außengrenzen fernzuhalten, ist der EU die Kooperation mit aller Art von Despoten recht. Nicht anders sieht es in Marokko aus. Gerade sitzten eine marokkanische Menschenrechtsaktivistin und ein Aktivist aus Tanger für zwei Jahre wegen „falschen Anschuldigungen“ im Gefängnis, weil sie es wagten, eine Anzeige einzureichen, nachde sie willkürlich verhaftet und gefoltert wurden. Marokko ist ein Königreich, dessen Politik von Korruption geprägt ist, welches seit nahezu 40 Jahren völkerrechtswidrig die Westsahara besetzt hält und Aktivisten der Unabhängigkeitsbewegung foltert, zum Verschwinden bringt oder ermordet. Doch um der guten Kooperation an der Grenze wegen schweigt die europäische Politik weitgehend dazu. Und erlaubt kommentarlos auch den Import von Rohstoffen aus den besetzten Gebieten.

Diese Beispiele zeigen einmal mehr, wie eng die Fluchtgründe und Fluchtbekämpfung miteinander verbunden sind. Sie zeigen das Herz einer Politik, welche weder Geflüchteten Schutz bieten noch Fluchtursachen bekämpfen will, sondern in erster Linie das Ziel verfolgt, den Status quo aufrecht zu erhalten: Das schreiende Ungleichgewicht zwischen den Rohstofflieferanten und Rohstoffkonsumenten, zwischen den Waffenproduzenten und Waffenkonsumenten, zwischen dem Reich der Kolonialisten und ihren "ehemaligen" Kolonien.